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"Märkte werden richtig spannend - auch für Privatanleger"

Christoph Lammersdorf, Vorstandsvorsitzender der Börse Stuttgart AG

18.2.2014 - Interview mit Christoph Lammersdorf, Vorstandschef der Börse Stuttgart, über das Verhalten von Privatanlegern, das Handelssegment Bond-M und das neue Börsensystem der Nasdaq für Stuttgart.

Einen Umsatzrekord gab es im Januar bei Aktien – in einem Monat, in dem die Märkte wieder schwächelten. Springen die Privatanleger mal wieder zu spät auf den Hausse-Zug auf?

Das kann man so nicht sagen. Die höhere Dynamik im Januar brachte zwar höhere Börsenumsätze mit sich, dabei überwogen jedoch die Verkäufe. Viele Anleger wollten das erreichte Niveau sichern und Gewinne realisieren. In den kommenden Wochen und Monaten werden die Märkte erst richtig spannend – auch für Privatanleger. Wichtig ist dabei ein aktives Risikomanagement, etwa durch Diversifizierung des Portfolios oder durch Finanzprodukte mit einem Absicherungsmechanismus. Hier können beispielsweise Zertifikate eine Rolle spielen.

Die größten Zuwächse verzeichnete die Börse Stuttgart im Handel mit verbrieften Derivaten. Vor allem der Handel mit sehr spekulativen Hebelprodukten, beispielswiese Optionsscheinen, hat im Januar stark angezogen – nämlich um 71 Prozent. Wie kann man dies interpretieren? Gehen Anleger wieder stärker ins Risiko?

Genauso ist es. Mit der gestiegenen Volatilität in der zweiten Januarhälfte sind die Trader zurückgekehrt. Der DAX schwankte zuletzt innerhalb eines Tages oft um 200 Punkte, das ist für kurzfristig orientierte Anleger ein interessantes Marktumfeld.

Inwieweit haben sich verbriefte Derivate bei den Anlegern etabliert? Sind sie ein Nischenprodukt geblieben oder mittlerweile in der Breite akzeptiert?

Der Markt mit verbrieften Derivaten hatte in Deutschland Ende 2013 ein ausstehendes Volumen von rund 93 Milliarden Euro. Auch wenn dieses Volumen in den vergangenen Jahren leicht gefallen ist, kann von einem Nischenprodukt keine Rede sein. Die Nachfrage nach Klassikern wie Discount-Zertifikaten und Produktinnovationen wie Faktorzertifikaten zeigt, dass Privatanleger die Produktvielfalt schätzen. Mit verbrieften Derivaten können sie ihre individuelle Risikoneigung und Marktmeinung passgenau in einem Investment abbilden. Zudem sorgen die verlässlichen Qualitätsstandards im Euwax-Segment der Börse Stuttgart dafür, dass verbriefte Derivate heute transparent und effizient an der Privatanlegerbörse gehandelt werden können.

Auf der Jagd nach Rendite haben sich manche Anleger bei hochverzinslichen Anleihen Ihres Mittelstandssegments Bondm die Finger verbrannt – durch Kurseinbrüche oder Insolvenzen von Emittenten. Wie sieht die Zukunft dieses Segments aus?

Die aktuellen Ausfälle dieser Unternehmen sind außerordentlich unerfreulich – sowohl für Emittenten als auch für Anleger. Allerdings implizieren die Ratings der Unternehmen von vornherein eine gewisse Ausfallwahrscheinlichkeit. Daher ist es bei dieser Anlageklasse sehr wichtig, die Chancen und Risiken genau abzuwägen. Es ist leider nicht auszuschließen, dass Anleger angesichts hoher Zinscoupons die Risiken aus den Augen verlieren. Hier kann eine kritische Berichterstattung einen erzieherischen Effekt haben – als Hinweis, sich intensiv mit dem per se ausgeprägten Chancen-Risiko-Profil bei Hochzinsanleihen von Unternehmen auseinanderzusetzen.

Die Börse Stuttgart implementiert derzeit ein neues Börsensystem der Nasdaq OMX, das sie unabhängig vom Standardsystem der Deutschen Börse und der Regionalbörsen macht. Wie weit ist dies bisher gediehen?

Eine leistungsfähige IT-Infrastruktur ist für uns als Börse integraler Bestandteil der Unternehmensstrategie. Das neue Börsensystem führen wir ein, um den Handelsplatz für Privatanleger langfristig zukunftssicher zu gestalten. Gleichzeitig bieten wir allen Handelsteilnehmern und Emittenten höchste Planungssicherheit. In der laufenden ersten Projektphase geht es darum, unser weltweit einzigartiges hybrides Marktmodell auf das System zu übertragen, das wir von der Nasdaq OMX erworben haben. Dabei sind insbesondere die Funktionalitäten zentral, die unseren Handelsexperten, den Quality-Liquidity-Providern, die Erfüllung ihrer Aufgaben ermöglichen. In einer zweiten Phase werden wir das System implementieren und 2015 mit den Teilnehmern verbinden.

Kann ein solches System dem Privatanleger nützen oder merkt dieser gar nichts davon?

Die Anleger werden von der Umstellung vordergründig nichts merken und weiterhin die gewohnte Servicequalität zur Verfügung haben. Allerdings lassen sich künftig Innovationen noch schneller umsetzen, die dann den Privatanlegern zu Gute kommen. Dies liegt daran, dass wir beim neuen Börsensystem eigenständige Entscheidungen über Weiterentwicklungen treffen können. Vielversprechende Ideen können so schneller in den Markt und zu den Anlegern getragen werden. Damit stärken wir die langfristige Wettbewerbsfähigkeit der Börse Stuttgart zugunsten der Privatanleger.

Welches sind in Ihren Augen die weichen Faktoren, mit denen Sie einem Bewerber aus einem anderen europäischen Land den Börsenplatz Stuttgart schmackhaft machen würden?

Die Börse Stuttgart ist klar positioniert und verfügt als mit Abstand größter Parketthandelsplatz in Deutschland über eine starke Marktposition. In unserem Unternehmen finden Arbeitnehmer flache Hierarchien und ein interessantes Arbeitsumfeld – an der Börse gleicht kein Tag dem anderen, Marktgeschehen und Branchendynamik sorgen für immer neue Herausforderungen. Hinzu kommt unser Umfeld in Stuttgart: Die Börse liegt im Herzen eines leistungsstarken, gut vernetzten Finanzplatzes, der ein hohes Maß an Lebensqualität und kultureller Vielfalt bietet.

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