Blog Finanzplatz Stuttgart

Wo die Börsenglocke läutet

Zu Beginn und zum Ende eines Handelstages erschallt die Börsenglocke.

6:10 Uhr in der Früh, Jürgen Dietrich checkt in seinem Mannheimer Zuhause auf seinem Smartphone die Kapitalmärkte in Asien. Wie hat die Börse in Tokio geschlossen, will der 35-Jährige wissen, der als Aktienhändler an der Börse Stuttgart arbeitet.

Sofort nach Handelsstart laufen die ersten Orders ein, oft hunderte allein in der ersten Stunde. Viele davon überprüfen Dietrich und Kollegen persönlich: Ist der Kurs, zu dem eine Order ausgeführt werden soll, plausibel? Hat der Anleger alle Daten richtig eingegeben? „Häufig sind merkwürdige Angaben zu Orderlimits“, sagt Dietrich. Im Zweifel kommt dann die Handelsorganisation nebenan ins Spiel, die wiederum mit der Absenderbank Kontakt aufnehmen und die Sache klären kann. „Ganz im Sinne des Privatanlegers“, so Dietrich.  

 

Gegen 12:00 Uhr hat sein Dax-Team gut 1.000 Orders abgearbeitet - ein überdurchschnittlicher Tag, also. Höchste Zeit für eine Lunchbreak. Auf den Ansturm sind Marliese Kagerer und ihr Team gut vorbereitet. Täglich gibt’s neben Sandwiches und Salaten ein Mittagessen. Linsen mit Spätzle stehen in der Gunst der rund 300 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Börse Stuttgart ganz oben, weiß sie. Dietrich und sein Team müssen sich abwechseln. Denn die Orderbücher, in die elektronisch Wertpapierkauf- und verkaufaufträge der Anleger einfließen, dürfen während der Handelszeit nicht alleine gelassen werden. Mindestens ein Kollege des Teams muss also immer im Handelssaal bleiben.

 

Um 14:00 Uhr nimmt Börsenexperte Richard Dittrich eine Besuchergruppe in der Lobby in Empfang. „Wir sind schließlich eine Börse für Privatanleger“, sagt er. Kein Wunder, kommen doch jährlich rund 2.500 Gäste an den Handelsplatz, um sich bei einem Blick hinter die Kulissen das ABC der Börse erklären zu lassen. Von der Empore aus beobachten die Besucher wenig später, wie unten im Handelssaal Dietrich und seine Kollegen vor ihren Bildschirmen sitzen – ganz ohne Geschrei, wie das mancher noch von der Präsenzbörse her kennt. „Angebot und Nachfrage finden heutzutage elektronisch zusammen“, erläutert Dittrich. Und das 4,5 Millionen mal pro Jahr (2019). Damit brachte es Stuttgart im vergangenen Jahr auf ein Umsatzvolumen von 71 Milliarden Euro. Die von Dietrichs Team am meisten gehandelten Aktien waren 2019 die von Wirecard, Allianz und Daimler. Was ihn, der den Ausgleich zum Händleralltag beim Handball findet, an der Börse am meisten reizt? „Jeder Tag ist anders - und wenn’s darauf ankommt, muss man voll konzentriert sein“, sagt er. Und dann wäre da noch die enge Zusammenarbeit mit den Kollegen. „Wir helfen uns gegenseitig aus, wo wir können“, sagt dazu Teammitglied Sandro Lind.

 

Mittlerweile geht es auf 15:30 Uhr zu - der Zeitpunkt, an dem die weltgrößte Börse an der Wallstreet eröffnet. Die heutigen Arbeitsmarktdaten für die USA waren gut. Also gehen auch Stuttgarts Dax-Händler von einem steigenden Dow Jones Industrial aus, dem großen Bruder des Deutschen Aktienindex in den USA. Und weil Börse immer auch Psychologie ist, kann ein haussierender US-Aktienmarkt auch auf die deutschen Blue Chips abstrahlen.

 

Inzwischen ist es 15:45 Uhr, und auf der Empore macht sich TV-Expertin Cornelia Frey für ihren Auftritt vor der Kamera fertig. Heute hat sie für den YouTube-Kanal der Börse die Anleihenhändlerin

Bianca Becker zu Gast. Auf die Frage, wie lange die Anleger noch mit der extremen Niedrigzinsphase zurechtkommen müssten, will Becker keine falschen Hoffnungen wecken. In diesem Jahr rechneten die Marktteilnehmer eher noch mit einer weiteren Zinssenkung der EZB, sagt die Anleihen-Expertin.

 

15:55 Uhr – jetzt ist die Zeit reif für einen kleinen Schwarzen, den sich Dietrich und Lind gönnen, bevor die „Handelbar“ schließt. Dort steht seit Januar 2018 ein Vollautomat der Marke „La Cimbali“, der seitdem 65.000 Tassen gefüllt hat, verrät das Zählwerk der Maschine. Wenn’s darauf ankommt und die Händler aufgrund des Orderaufkommens - etwa während der Corona-Krise - partout nicht wegkommen von ihren Plätzen, bringt die umsichtige Marliese Kagerer den Espresso auch schon mal an den Arbeitsplatz. „Indirekt bekommen wir die Stimmung im Handelssaal natürlich mit“, sagt sie.

 

Bald ist es 17:30 Uhr, Ende der Xetra-Handelszeit, womit auch die Handelsvolumina an den anderen deutschen Börsen abnehmen. „Um Privatanlegern den weiteren Handel zu ermöglichen, bleibt die Börse Stuttgart aber noch geöffnet“, sagt Dietrich. Von seinem Team übernimmt ein Kollege den Spätdienst ab 18:00 Uhr. Ein Vesper aus dem „Abendkühlschrank“, den Marliese Kagerer nochmals aufgefüllt hat, hält ihn bei Laune. Erst um 22:00 Uhr MEZ, wenn der Handel an der Wallstreet endet, gehen auch an der Börse Stuttgart die Lichter aus. Und noch einmal erschallt die Börsenglocke.

Zurück