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Geld anlegen in Zeiten des Virus

„Für die Umschichtung des Depots wird es vielfach höchste Zeit“, ist für Andreas Wurster, Investment Advisor der Bethmann Bank in Stuttgart, klar. Zumindest für die Anleger, die dem weitverbreiteten Irrtum unterlagen, ihr Wertpapierdepot mit einem starken Schwerpunkt auf den Heimatmarkt ausgestattet zu haben – „Home Bias“ genannt. Dies gilt erst recht, weil Europas Wirtschaft von der anhaltenden Pandemie mit am stärksten betroffen sein dürfte. Da China mit totalitären Maßnahmen dem Virus Einhalt geboten hat und die USA unter Trump die Pandemie „weitgehend laufen ließen“, ist Europa mit seinen Formen des Lockdowns wirtschaftlich am stärksten betroffen. „Daher gilt es, Wertpapieranlagen global zu diversifizieren“, macht Wurster klar.  Hinzu kommt in seinen Augen der Umstand, dass die massive Fiskalpolitik des Staates und die Geldpolitik der Notenbanken klar für die Assetklasse der Aktien spricht – und zwar mit einer längerfristigen Perspektive. „Für 2021 sehe ich daher große Chancen für ein überdurchschnittliches Aktienjahr mit einer zweistelligen Performance-Quote“, sagt Wurster. Klar, irgendwann sollte dann auch mal ein Impfstoff gegen Covid19 zur Verfügung stehen, bevor bis Ende 2021 der Weg für den Dax auf 13,500 Punkte frei wäre.

 

Natürlich ist dieses Kalkül nicht ganz ohne Risiken. Sollten die Regierungen genauso wie die Notenbanken doch zu schnell die unterstützenden Maßnahmen ihrer Fiskal- und Geldpolitik reduzieren, drohte den Aktienmärkten neues Ungemach. Zinserhöhungen kann sich Wurster darunter freilich nicht vorstellen, aber eine Drosselung der Asset-Aufkäufe seitens der Notenbanken schon. Unterm Strich aber wird nach seiner Erwartung die üppige Liquidität an den Märkten erhalten bleiben – und damit auch der wichtigste Grund für die hohen Aktienbewertungen. 

 

Obwohl die Landesbank Baden-Württemberg (LBBW) erst vor Kurzem ihre BIP-Prognose kassiert hat, bleibt sie grundsätzlich für Aktien mittel- und längerfristig positiv eingestellt, da sie im anhaltenden Niedrigzinsumfeld ein attraktives Chance-Risiko-Profil bieten. „Entsprechend raten wir langfristig orientierten Anlegern auch nicht, ihren Aktienanteil im Depot mit Blick auf die angepasste BIP-Prognose zu reduzieren“, sagt Karen Armenakyan, Leiter Vermögensverwaltung und Wertpapiere der zur LBBW gehörenden BW-Bank. Allerdings sei für die nächsten Wochen und Monate, gerade mit Blick auf die Corona-Situation, aber auch andere latente Krisenherde, mit stärker schwankenden Aktienmärkten zu rechnen. „Daher raten wir, durchaus zu prüfen, ob man als Anleger bereit ist, höhere Schwankungen im Depot auszuhalten“, sagt er. Bekanntlich hat das LBBW Research seine BIP-Prognose für Deutschland für 2020 von minus sechs Prozent auf minus 6,5 Prozent zurückgenommen. Gleichzeitig reduzierten die Analysten ihre Prognose für den BIP-Zuwachs Deutschlands 2021 von plus fünf Prozent auf plus vier Prozent. Zugleich erwarten sie, dass die Wirtschaft in der Eurozone in diesem Jahr um neun Prozent schrumpft (bisher minus 8,3 Prozent). Die Erholung 2021 dürfte statt plus sechs Prozent nun nur noch plus 4,5 Prozent betragen.

 

Ob es dennoch bis zum Jahreswechsel in einem aktuell ungewöhnlichen Umfeld zur fast schon traditionellen Jahresendrallye kommen wird, darf zumindest bezweifelt werden. „Denn der Gesamtmarkt bietet derzeit nur wenige Gründe für weiter steigende Kurse für die kommenden Monate“, sagt Stephan Jugenheimer vom Wealth Management der Deutschen Bank, der allerdings Potenzial in ausgewählten Bereichen erkennt. Einzelne Sektoren- und Stilallokationen könnten daher über das Jahr hinaus eine entscheidende Rolle für den Anlageerfolg spielen. Die neuerlichen Lockdown-Maßnahmen in vielen Ländern Europas dürften sich seines Erachtens freilich negativ auf Stimmung und Gewinnentwicklung europäischer Aktienmärkte auswirken. Auch die Unsicherheiten im Nachgang der US-Wahl zählt er zu den möglichen Stimmungskillern des Aktienmarkts.

 

„Wir gehen insgesamt weiterhin von einer volatilen Aktienmarktentwicklung aus und halten eine umsichtige Positionierung für angemessen“, sagt Jugenheimer, für den Gold aus Diversifikationsgründen, zum Schutz in Krisenzeiten und vor unvorhergesehenen Ereignissen durchaus interessant sein könnte. Allerdings rechnet er bis Ende September 2021 auch hier nur mit einem begrenzten Preisanstieg. Grundsätzlich bleibt für die Deutsche Bank eine strategische und damit langfristige Asset Allokation, die ein Portfolio gegenüber zukünftiger möglicher Ereignisse robuster macht, auch weiterhin die beste Möglichkeit, um sich in der aktuellen Phase zu bewegen. Für langfristig orientierte Anleger dürften laut Jugenheimer Anlagemöglichkeiten, welche nachhaltigen Prinzipien folgen (ESG-Kriterien), unabhängig von der derzeitigen Entwicklung an den Finanzmärkten, immer weiter an Bedeutung gewinnen.

 

Dabei könnten die neuerlichen Lockdowns im Zuge der Anstiege bei den Neuinfektionen mit dem Coronavirus in vielen Ländern Europas und der Welt die wirtschaftliche Erholung verlangsamen. So besteht für die Deutsche Bank eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass die Corona-Maßnahmen länger anhalten als zunächst erhofft – „was sicherlich ein großes Risiko darstellen würde“, so Jugenheimer. Zudem könnte es auch im Nachklang der US-Präsidentschaftswahlen und aufgrund der immer näher rückenden Brexit-Deadline mit möglichen stockenden Verhandlungen zu weiteren Unsicherheiten kommen.

 

Dass Europa zwischen den Machtblöcken USA und China droht zerrieben zu werden, will man indessen bei der Bethmann Bank gar nicht verleugnen. „Es gibt nun mal diese beiden mächtigen Pole auf der Welt“, sagt Wurster. Um sich dennoch in diesem Spannungsfeld sinnvoll positionieren zu können, fordert der Bethmann-Experte eine gezielte Industriepolitik von Brüssel in ausgesuchten Branchen und nennt beispielhaft die Batterieproduktion, Automatisierung oder Künstliche Intelligenz. „Solche Bereiche, in denen Europa seine Stärken hat, gilt es zu verankern“, lautet sein Credo. Bevor daraus mal etwas wie das Silicon Valley werden könnte, ist es freilich noch ein langer Weg.

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